Zu Gast in… – Gottesdienste
„Zu Gast in…“: zentrale Gottesdienste als Erfolgsmodell
Th.-M. Robscheit
Hier kann der Artikel „Zu Gast in…“ im .pdf-Format heruntergeladen werden. Er enthält erklärende Anmerkungen, die sich in der online-Version nicht darstellen lassen.
Die Lage
Im Januar 2001 habe ich die Pfarrstelle Kapellendorf mit acht Predigtstätten und ebenso vielen selbständigen Gemeinden übernommen. Sehr schnell war mir deutlich, dass es ungemein schwierig sein würde, die Gemeinden als ein Kirchspiel zusammenzuführen. Das Misstrauen der Gemeinden untereinander war sehr groß, in der Vergangenheit zwangsweise zusammengeführte Gemeinden hatten sich wieder getrennt, als sich ihnen die Möglichkeit bot.
Da alle Gemeinden nur jeweils zwischen hundert und einhundertfünfzig Gemeindeglieder hatten, war und bin ich der Überzeugung, dass nur ein geeintes und in sich starkes Kirchspiel auch zukünftig Bestand haben kann, und es deswegen zu einem „Wir“ kommen muss, damit grundlegende Aufgaben einer Kirche, wie Kinderarbeit, Gesprächskreis u.ä. nicht von vornherein scheitern müssen, weil eine kritische Masse unterschritten wird. Ich halte den Gottesdienst nach wie vor für das Zentrum des Gemeindelebens, in religiöser, aber auch in sozialer Sicht. Dort betet man gemeinsam, aber vor und nach dem Gottesdienst spricht man auch über die profanen Probleme und Freuden des Lebens. So war es für mich naheliegend, einen Zentralgottesdienst im Kirchspiel Kapellendorf anzustreben.
Das Problem
In der Vergangenheit hat es viele Versuche von solchen Zentralgottesdiensten gegeben. Das jährliche Gemeindefest ist dabei wohl die verbreitetste Variante. Im Kirchspiel Kapellendorf war über viele Jahre hinweg sehr massiv versucht worden, Kapellendorf als Gemeindezentrum durchzusetzen. Der Widerstand der anderen Gemeinden war hoch.
Es musste eine Lösung gefunden werden, die es allen Gemeinden erlaubt, sich selber als „Zentrum“ zu empfinden, zumindest partiell. Die einzige Idee, die mir dazu kam, war ein wandernder Zentralgottesdienst. Auf diese Weise hat auch jede Kirchgemeinde die Möglichkeit, ein kleines Gemeindefest auch bei sich im Dorf zu haben.
Die Idee
„Ändere nichts vor Jahresfrist!“, war einer der Lehrsätze, die ich von UNI und Vikariat deutlich im Ohr hatte, als ich 2001 in Kapellendorf meine zweite Pfarrstelle angetreten habe. Dem entgegen war ich mir sicher, dass man manche Dinge sofort ändern muss, oder es nie kann. So besprach ich mich sehr kurzfristig mit den Kirchenältesten von Herressen und bat sie, dass am ersten Märzsonntag in ihrer Kirche ein Zentralgottesdienst mit anschließendem Kaffeetrinken stattfinden darf. Der GKR war einverstanden und übernahm die Organisation des Kaffeetrinkens. So sollten den anderen Gemeinden Appetit gemacht werden.
Fast im Schlaf wurde mir ein anderes Problem deutlich – und mir wurde eine Lösung gegeben: ein wandernder Zentralgottesdienst wird nicht zwangsläufig zusammenführen, es ist auch nötig, dass dieser Gottesdienst immer als der selbe erfahren wird. Deswegen kam mir der Gedanke, ein Motto oder Namen für diese Gottesdienste zu finden. Dieses musste einprägsam und kurz sein: „Zu Gast in…“ wurde dieses Motto. Auf Liedzetteln, Aushängen und im Kirchenblättchen wurde es in dem Schriftzug „Forte“ von Anfang an verwendet.
Die Umsetzung
Das Wetter an jenem ersten Märzwochenende 2001 war grauenhaft: es schneite und war unangenehm kalt: Jeder würde lieber zu Hause bleiben, als morgens zur Kirche zu gehen, geschweige denn drei Dörfer weiter zu fahren, zwar hatte ich alle 32 Kirchenälteste des Kirchspieles eingeladen, in Aushängen auf den Gottesdienst und das Kaffeetrinken hingewiesen; aber bei diesem Wetter? Ich war kleingläubig.
Als ich dann in die kleine Dorfkirche kam, war ich überrascht: es duftete nach Kaffee und Kuchen. An den Wänden des Altarraumes waren Tische aufgestellt worden, auf denen die leckeren Speisen und Getränke standen und während des ganzen Gottesdienstes Augen und vor allem Nase ansprechen sollten.
Und: die Kirche war voll.
Nach dem Gottesdienst standen alle in der Kirche aßen, tranken und vor allem: unterhielten sich.
In der Auswertung wurde deutlich, dass alle diesen Gottesdienst als etwas Schönes empfunden hatten. So waren alle GKR damit einverstanden, diesen Zu Gast in – Gottesdienst mindesten ein Jahr lang auszuprobieren: jeweils am 1. Sonntag des Monates soll eine der Gemeinden alle anderen zu sich einladen. An diesem Tag finden im Kirchspiel keine weiteren Gottesdienste statt. So ist jede Gemeinde einmal im Jahr Gastgeber.
Das Wandern in der Ebene
Oft spricht man von den Mühen der Ebene, wenn es darum geht, langfristige Projekte zu beschreiben. Für die Zu Gast in – Gottesdienste trifft das nicht zu. Das Modell wurde in allen Gemeinden gut angenommen, es haben sich „lokale“ Traditionen gebildet. So wird beispielsweise der Zu Gast in – Gottesdienst in Oberndorf immer zum Schuljahresbeginn gefeiert. Alle Schulkinder sind dazu eingeladen und ihnen wird der segen Gottes persönlich zugesprochen. Der Zu Gast in – Gottesdienst in Großromstedt ist immer der zentrale Erntedankgottesdienst usw.
In allen Gottesdiensten wird das Heilige Abendmahl gefeiert, jeder Gottesdienst ist entweder musikalisch besonders gestaltet, die Christenlehrekinder übernehmen Aufgaben oder ähnliches. Die Gottesdienste finden alle nachmittags statt
Die Zu Gast in – Gottesdienste finden nun seit 15 Jahren ununterbrochen statt und es ist nicht abzusehen, dass sich dies ändern sollte.
Der Gottesdienstbesuch ist durchschnittlich bei etwa dem drei- bis fünffachen der normalen Gottesdienste.
Fazit
Wenn man Gottesdienst nach diesem Modell einführen möchte, sollte man:
Einen festen Rhythmus einhalten (z.B. jeder erst Sonntag im Monat, 14:00)
Ein feststehendes Motto verwenden (z.B. Zu Gast in…)
Die Gottesdienste in ihrer inhaltlichen Gestaltung von den normalen Sonntagsgottesdiensten unterscheiden (z.B. mit Abendmahl)
Es scheint für die Bewusstseinsbildung des Kirchspieles günstig zu sein, wenn verschiedene Gemeindegruppen hin und wieder in diesen Gottesdiensten Aufgaben übernehmen.
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