4. September 2015

Finsternis vergeht

Von Th.-M. Robscheit
This entry is part 18 of 134 in the series geistliches Wort

Ich sitze am Schreibtisch, ein leerer Monitor starrt mich frech an, die Zeit zerrinnt.
Ich schaue aus dem Fenster. Gedanken begeben sich auf die Reise. Das Dorf, Felder dahinter, sanft gewellt, braun, nackter Boden. Am Horizont: graugrün eine Wiese, ein Weg, die entlaubten Kronen eines kleinen Wäldchens. Eine einsame Krähe fliegt vor düsteren Wolken. Schwermut. Ich bin müde. Der Abend war zu lang, der Berg an unerledigten Dingen ist zu groß, keine wirkliche Ruhe, jeder zerrt, es ist zuviel. Das lähmende Grau des Himmels legt sich wie ein bleierner Mantel auf die Seele.

„Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt“, so der Spruch für die nun zu Ende gehende Woche aus dem 1. Johannesbrief. Die Finsternis vergeht, – ja, sicher: Die Nacht ist vorüber. Es ist nicht mehr dunkel. Stattdessen aber Düsternis, Trübsal. Antriebslosigkeit. Wie oft geht uns das so. Das neue Jahr beginnt mit viel Lärm und guten Vorsätzen, doch schon der erste Januar schmeckt schal. „Ich habe mich schon so oft beworben, es bringt nichts mehr!“; „Der Lehrer hat mich auf dem Kicker, ich kann machen was ich will, es ist sowieso für die Katze!“, „Jeden Tag derselbe Stress, ständig ändert sich was, man kann nicht mehr kontinuierlich etwas aufbauen!“, mir fallen die Klagen anderer ein. Für viele dieselbe Last, die grau und schwer auf die Seele drückt. Nicht mehr die Nacht in ihrer Angst, dem Verstecken, der Orientierungslosigkeit macht uns zu schaffen, sondern der graue, schwere Alltag.
Ich sitze am Schreibtisch, nun hat sich der Bildschirm mit Zeichen und Zeilen gefüllt, der Blick aus dem Fenster. Tief drücken die Wolken hernieder. Und dann: ein roter Schimmer, wird es da nicht heller? Gedanken lassen sich nicht aufhalten, die Erinnerung an Flüge: Immer näher, immer bedrohlicher kommt die Wolkendecke, gleich würde man anstoßen, dann Nebel und plötzlich strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, die bedrohlichen Wolken sind eine leuchtend weiße Kuscheldecke… Jäh holt mich das Telefon zurück: „Ja, Ja, Hallo und auf Wiederhören.“
Ich schaue wieder aus dem Fenster, alles sieht aus wie vor wenigen Minuten, und doch hat sich etwas geändert. Aber was? Das Dorf, dahinter die Felder, braun, sanft gewellt. Wie vorhin. Doch jetzt spüre ich auch die verborgene Kraft, die im Boden schlummert, ich sehe den wogenden Weizen; es ist, als erahnte ich das satte Grün, das bald die kahlen Zweige verdecken wird. Ich weiß, dass über der bleiernen Wolkendecke der Himmel offen ist und sonnendurchflutet.
„Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt“. Der Glaube, das Wissen um dieses Licht, das verändert uns, weckt unsere Lebensgeister und lässt uns das bleierne Grau abschütteln wie Staub. Und dann wird sogar die Welt um uns herum heller und freundlicher.

Th.-M. Robscheit, Januar 2004

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