6. September 2015

Graue Masse

Von Th.-M. Robscheit
This entry is part 28 of 134 in the series geistliches Wort

Guten Morgen, liebe Andrea S.!
Ja, ich meine tatsächlich Dich, wir sehen uns ja kaum noch, deswegen schreibe ich diese Zeilen. Bist Du gut ins neue Jahr gekommen? Übrigens, die nächste Chorprobe findet erst am 12. Februar 20:30 statt…

Liebe Zeitungsleser, Ihnen allen wünsche ich natürlich einen guten Morgen, und wenn Sie gerne im Kapellendorfer Gospelchor mitsingen möchten, sind Sie herzlich willkommen! Dennoch habe ich diesen Artikel an einen ganz bestimmten Menschen adressiert.
Wie geht es Ihnen damit? „Warum spricht Pfarrer Robscheit Andrea S. persönlich an?“, werden Sie fragen. Nun diese Frage kann ich Ihnen leicht beantworten: Andrea hat mich hin und wieder auf das geistliche Wort angesprochen, und ich habe mir vorgestellt, dass sie vielleicht der einzige Mensch ist, der dies tatsächlich liest. Natürlich ist mir klar, dass Sie, liebe Leser, es ebenfalls lesen, aber Sie kann ich nicht wahrnehmen. Graue Masse nennen wir das. Und seien Sie jetzt bitte nicht beleidigt! Mir selber geht es ja nicht anders: Wenn ich spätabends noch Nachrichten sehe und in Kapellendorf außer bei uns schon überall das Licht aus ist, denke ich manchmal: eigentlich müsst Herr Buhrow jetzt mit den Worten schließen: „Unserem Zuschauer Thomas Robscheit nun eine gute Nacht!“ Passiert natürlich nicht, denn auch ich bin bloß graue Masse. Stimmvieh, Kundenprofil, in Schubladen gesteckt auf Grund meines Wohnortes, der Kundenkarte oder meines Autos. Ich weiß nicht, wie Ihnen das damit geht, mich ärgert das!
Jedes Mal wenn mir solche Gedanken kommen, bin ich froh über die Zusage Gottes an uns Menschen, an jeden einzelnen ganz persönlich: „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen; Du bist mein!“ Vor Gott gehen wir nicht in der großen Menge unter, jeder einzelne ist ihm persönlich bekannt und wichtig!
Der Gedanke ist tröstlich, aber unabhängig von allen religiösen Vorstellungen ist er auch ein Auftrag an uns. „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen“, bedeutet nämlich für uns, andere Menschen als Persönlichkeiten wahrzunehmen und nicht als graue Menge. Wie wichtig das ist, zeigt sich gerade auch in diesen Tagen: es wird viel über die Jugendkriminalität geredet, je nach Bildung und politischer Überzeugung fallen die Kommentare so oder so aus, eines ist aber allen ernstzunehmenden Beiträgen gemein: Sowohl Vorbeugung, alsauch niedrige Rückfallquoten werden nur dort erreicht, wo man sich die Mühe macht, mit den Betroffenen persönlich umzugehen, ihr Nöte und oft wirren Vorstellungen zu hören und sie mit ihrem Namen anzusprechen.
Bequemer ist es für uns, von „denen da“, „der Jugend“ oder „den Ausländern“ zu sprechen. Bequemer ja, aber unmenschlich, nicht hilfreich und gewiss nicht nach Gottes Vorstellung! Wir Menschen sind jeder einzelne eine eigene Persönlichkeit. Gott begegnet uns so und er erwartet das auch in unserem Umgang miteinander.
Jetzt liebe Leser wird Ihnen vielleicht auch deutlich, warum ich in diesen Artikel einen Menschen ganz konkret angeschrieben und aus der grauen Masse herausgehoben habe. Dass das nicht immer gelingen kann, liebe Leser, liegt auf der Hand, aber hin und wieder ist es doch möglich, in der grauen Masse auch den Einzelnen zu sehen! Bemühen Sie sich!

So bleibt mir nun Ihnen ein gesegnetes Wochenende zu wünschen, ganz besonders aber Andrea S.
Ihr Pfarrer Robscheit aus Kapellendorf

Januar 2008

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